Ein Tag als Zugbegleiter
Staatsminister Martin Dulig als Zugbegleiter der DB Regio.
Seit 7 Uhr bin ich heute für eine Schicht Praktikant bei der Deutschen Bahn, eingesetzt im Regionalverkehr. Ich arbeite einen Tag als Zugbegleiter für mein Projekt »Deine Arbeit, meine Arbeit«. Diesmal ist es für mich besonders spannend, da ich als Verkehrsminister viel mit Bahn-Themen beschäftigt bin und gerade die Fortführung des 9-Euro-Tickets heftig diskutiert wird. Ich möchte wissen, was den Menschen in ihrem Arbeitsleben im Freistaat – heute bei der Bahn – auf der Seele brennt, wo es Probleme und Sorgen gibt, die ich als Politiker vielleicht mit lösen helfen kann. Wie üblich bin ich daher nicht angemeldet – nur einige wenige Vertraute wussten vorher Bescheid, dass ich heute hier bin. So kann ich wirklich mitarbeiten, ohne Extra-Behandlung und Tamtam.
Meine heutige Dienstbekleidung, die ich im Mitarbeiterbereich auf dem Dresdner Hauptbahnhof erhalte, zählt gewiss zu den schicksten all meiner Arbeitseinsätze: Entworfen von Designer Guido Maria Kretschmer, trage ich einen dunkelblauen Anzug, weinrote Weste, weißes Hemd, blau-gemusterte Krawatte und zwei Bahn-Pins. Nach dem Umziehen lerne ich meinen heutigen Chef kennen: Zugbegleiter Oliver Neitzel. Bahner mit Herzblut – wie ich immer wieder merken werde. Nach meiner Einweisung geht es auch schon in den Zug nach Leipzig – in den Saxonia-Express RE50. Pünktlich um 8:06 Uhr rollt die rote Bahn von Gleis 7 aus der Haupthalle.
Im Bereitschaftsraum, einem kleinen Glaskasten, greift Oliver Neitzel zum Mikrofon und begrüßt die Fahrgäste. Er erläutert die wichtigsten Fakten zur Fahrt, weist auf das 9-Euro-Ticket hin, welches nur mit Unterschrift gültig ist, und wünscht »einen angenehmen Aufenthalt an Bord«. Während die Gäste nun entspannen können, beginnt für uns die Arbeit. Von vorn arbeiten wir uns durch den Zug. Über 180 Fahrgäste werden wir in den kommenden 104 Minuten kontrollieren. »Die Fahrkarten bitte!«, ist ein Satz, den ich heute gefühlt unendlich oft sage. Dann überprüfe ich mit einem Lesegerät die Gültigkeit der Fahrkarten. Bis auf einen Fahrgast, der 60 Euro zahlen muss, haben alle Passagiere ihr Ticket dabei.
Auch die Maskenpflicht kontrollieren wir. Die meisten tragen verantwortungsvoll eine. Hin und wieder wird sie aber auch nur kurz hochgezogen, wenn wir ins Abteil kommen. Ein Mann sieht es gar nicht ein, sich den Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen. Eine ältere Dame beschwert sich lautstark, dass dieses Verhalten nicht gehe – und wir durchsetzen sollen, dass er die Maske aufzieht. Doch die Bahner haben diese Durchsetzungsmöglichkeit gar nicht. »Die hat nur die Polizei, die gerufen werden kann im Extremfall«, so Neitzel. Doch dies würde den gesamten Ablauf durcheinanderbringen – bis hin zu Verspätungen. »Wir fühlen uns da schon ganz schön allein gelassen. Was sollen wir denn tun, wenn einige Passagiere sich weigern, uns beschimpfen oder bedrohen? Das Aggressionspotenzial hat sich seit Corona verdoppelt.«
In Riesa geht es erst einmal nicht weiter. Im Intercity (IC) gegenüber gibt es einen medizinischen Noteinsatz. Da wir als Regionalexpress ja langsamer sind als der IC, müssen wir warten, bis er abgefahren ist. Daher treffen wir mit Verspätung in Leipzig ein. Die verbleibende Zeit unserer eigentlich 30 Minuten langen Pause verbringen wir mit Auskünften an Fahrgäste, wann welcher Zug fährt. Wir füllen Faltfahrpläne im Zug auf. Unterhalten uns. Ja, die meisten Fahrgäste reisen derzeit mit dem 9-Euro-Ticket. Oliver Neitzel: »Etwa zwei Drittel nutzen das Ticket. Und die Züge sind richtig voll, wie man merkt. Das Geniale für viele Reisende ist ja, dass es nur einen Preis gibt – ganz klar und nachvollziehbar, egal von wo man fährt oder aus welchem Verbund man kommt.« So sah mein Wunsch für die Landesverkehrsgesellschaft in Sachsen aus. Leider konnte ich den bei meinen Koalitionspartnern in der Regierung nicht durchsetzen. Der »Nachteil« des derzeitigen 9-Euro-Tickets ist: Viele Fahrgäste nutzen das Ticket für die Reise in den Urlaub. Daher sind einige Züge, so auch der Saxonia-Express, brechend voll. Auf dieser Linie ist allerdings schon vor dem Sonderticket immer viel los gewesen, erfahre ich von Oliver Neitzel. Ab 2025 soll es aber Abhilfe geben. Dann will die Bahn Doppelstockzüge einsetzen – die allerdings erst noch angeschafft werden müssen.
In Dresden treffen wir fast pünktlich wieder ein. Der Zug war erneut voll – zahlreiche Fahrräder und Koffer haben die Durchgänge versperrt. Doch statt der eingeplanten 45 Minuten Pause haben wir einen kleinen Notfall. Einer Frau wird beim Aussteigen schwarz vor Augen. Wir setzen sie auf dem Bahnsteig auf eine Bank. Bis zum Eintreffen der Helfer versorgen wir sie mit Wasser und beruhigen sie etwas. Die Pause schmilzt damit auf 15 Minuten zusammen – für einen Abstecher in die Einsatzzentrale zum Händewaschen reicht es. Dann geht es sofort weiter: Auf Gleis 2 fährt um 13:29 Uhr die S1 nach Bad Schandau ab. Die S-Bahn ist nicht so voll, trotz Ferienzeit. Die meisten Wanderer sind offenbar schon unterwegs, der Feierabendverkehr hat hingegen noch nicht begonnen. Wieder heißt es: Fahrkarten kontrollieren, Auskünfte geben, Maskenverweigerer ermahnen. In Bad Schandau endet derzeit auf Grund von Bauarbeiten die S-Bahn. Nach 30 Minuten Aufenthalt fahren wir wieder zurück nach Dresden.
In der Einsatzzentrale unterhalte ich mich noch kurz vor Feierabend mit dem Fahrdienstleiter und einigen Kolleginnen und Kollegen. Wir sprechen über das 9 Euro Ticket, über Arbeitszeiten, Entlohnung. Für die Bahner ist es selbstredend ein anstrengender Job, in Schichten, mit hoher Taktung und Verantwortung. Ich fühle mich nach dem Gespräch in meiner Meinung bestätigt: Wir dürfen nicht nur eine Diskussion um das 9-Euro-Ticket führen. Ja, ein preiswerter Tarif ist wichtig, um mehr Kunden für den Bahnverkehr zu gewinnen. Aber ebenso wichtig ist, dass wir das System Bahn weiter ausbauen: Wir brauchen mehr Strecken, dichtere Takte und mehr Fahrzeuge. Wir müssen an allen Stellschrauben drehen, um die Bahn attraktiv und leistungsfähig zu machen. Über diese Themen verhandele ich bereits mit dem Bund, der die Regionalisierungsmittel dafür bereitstellt.
Auch wenn mal ein Zug ausfällt oder die Bahn Verspätung hat: Die Bahner geben, egal ob im Regional- oder Fernverkehr, ob im Zug selbst oder in den Stellwerken und Einsatzzentralen, jeden Tag ihr Bestes. Davon habe ich mich heute überzeugen können. Ihnen allen gilt mein höchster Respekt!