Ein Tag als Praktikant im Tagebau
Staatsminister Martin Dulig als Praktikant im Tagebau Nochten
Es ist bitterkalt an diesem Dezembermorgen. Der Nebel hängt wie festgetackert zwischen dem nassen Sandboden und den Kronen der Kiefern nahe Mühlrose. Seit 7 Uhr bin ich mit einem kleinen Bautrupp hier, bohre Löcher fast 120 Meter tief in den Boden. Anschließend setzen wir Kieselfilterrohre ein, die mit Abpumpsystemen ausgestattet werden. Diese werden den ersten von zwei Entwässerungsringen bilden, wenn der nur 1.000 Meter entfernte Tagebau Nochten weiter nachrückt.
3.40 Uhr klingelte mein Wecker, damit ich pünktlich um 6 meinen Dienst in der Lausitz antreten konnte. Für eine Schicht arbeite ich heute bei der Oberflächenentwässerung im Tagebau Nochten für mein Projekt »Deine Arbeit, meine Arbeit« mit. Packte ich beim letzten Mal in einer Energie-Zukunftsbranche mit an, beim Solarbauunternehmen Solarwatt in Dresden, bin ich heute beim Produzenten unseres noch ältesten Energieträgers tätig: beim Braunkohlestrom-Erzeuger LEAG. Das Thema Energiewende, speziell die Notwendigkeit der Braunkohleverstromung, ist politisch aktuell wieder heiß umstritten. Während meines Arbeitseinsatzes interessiert mich, was den hier arbeitenden Menschen auf der Seele brennt, welche Probleme und Sorgen sie haben, die ich als Politiker vielleicht mit lösen helfen kann. Wie üblich bin ich daher nicht angemeldet – nur einige wenige Vertraute wussten vorher Bescheid, dass ich heute hier bin. So kann ich wirklich mitarbeiten, ohne Extra-Behandlung und Tamtam um meine Person.
Braunkohlestrom ist derzeit – auf Grund der Energiekrise – wieder gefragter als in den vergangenen Jahren. Die LEAG musste daher ihre Personalpläne für ein Ende der Braunkohleverstromung spätestens in 15 Jahren über Bord werfen. Neue Mitarbeiter werden wieder händeringend gesucht, damit der gestiegene Bedarf überhaupt gedeckt, die Produktion gesichert werden kann. In den vergangenen Wochen wurden allein in meiner heutigen Abteilung, dem Bereich Oberflächenentwässerung, 45 neue Leute eingestellt. Insoweit falle ich als Praktikant »Martin Schmidt« gar nicht auf.
Es ist im wahrsten Sinne Knochenarbeit, die ich heute verrichte. Zwar kann ein großer Bohrer auf einem Laster das Loch für die Kieselstein-Filterbrunnen problemlos bohren, doch die schweren Rohre rollen wir per Hand ans Bohrloch. Drücken schwarze Gummimanschetten auf die Öffnungen, damit die Rohe später unterirdisch verbunden sind. Die Entwässerungstrupps der LEAG arbeiten rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb. Jede Woche schafft einer der Bautrupps hier in Nochten drei neue Brunnen. Sie werden das Grundwasser in einer ersten Sperrlinie abpumpen. Rund 500 Meter von uns entfernt verläuft bereits eine Pump-Linie, welche den bereits existierenden Tagebau vor einsickerndem Grundwasser schützt. Von meinen Kollegen höre ich immer wieder: »Ohne uns, da würde hier nichts laufen – würde alles unter Wasser stehen.« Das von hier abgepumpte Grundwasser stützt den Pegel der Spree oder fließt in neu entstehende Seen im Umland.
In Hörweite reißt der Tagebaubagger Braunkohle aus rund 100 Metern Tiefe. 2021 waren es insgesamt 16,1 Millionen Tonnen. Die rund 15 Meter mächtige Kohleschicht wird hier schon seit 1973 abgebaut. Der Tagebau hat auf heute sächsischer Seite einst zehntausenden Menschen im Dreieck Hoyerswerda, Weißwasser und Schwarze Pumpe sichere und gut bezahlte Arbeit gegeben. »Wir wissen, dass unsere Arbeit hier endlich ist. Dass die Braunkohle bald der Vergangenheit angehören wird«, erklärt Steiger Daniel Steinert. »Wir machen unsere Arbeit hier, damit es im Land ausreichend und preisgünstigen Strom gibt. Natürlich ist es für jüngere Leute eine Abwägung, ob man heute noch hier in der Region im Bergbau einen Job antritt. Doch letztlich werden viele von uns noch weit nach dem Braunkohleabbau hier tätig sein. Wenn man sich die LMBV anschaut, die sind noch heute dabei, Flächen zu rekultivieren, wo zu DDR-Zeiten Kohle abgebaut wurde.«
Mittags sitzen wir in einem Bauwagen. Hier ist es nicht ganz so eisig wie draußen. Ich hadere, ob ich meine dicke Jacke ausziehen soll – immerhin bin ich drunter nassgeschwitzt. Meine Kollegen sind das gewohnt. Sie arbeiten hier bei jedem Wetter – von 40 Grad und brütender Sonne im Hochsommer bis zu minus 20 Grad und Schnee im Winter. »Die Arbeit muss gemacht werden«, höre ich immer. Wenig später »enttarnt« mich Daniel Steinert – in der Einsatzstelle haben mich offenbar Beschäftigte erkannt, dort hat sich bereits herumgesprochen, wer ich bin. Ich möchte nicht, dass sie sich veralbert vorkommen. Nur kurz stutzen meine drei Kollegen – fragen dann, ob wir jetzt beim »du« bleiben können. Natürlich, denn es hat sich ja nichts verändert und ich bin ihnen dankbar für die vielen Eindrücke. Und nach der Pause heißt es auch für mich weiter im Schlamm und bei Eiseskälte: anpacken, ziehen, drücken und sich dreckig machen.
Es ist eine körperlich extrem anstrengende Arbeit, welche die Beschäftigten der LEAG hier Tag für Tag leisten. Die Kollegen hier sind zu recht auf ihre Arbeit stolz, dass sie maßgeblich mit dazu beitragen, die Energiekrise in unserem Land abzumildern und sichere Energie zu erzeugen. Sie wissen, dass der Kohleabbau endlich ist – aber sie identifizieren sich bis zur letzten Stunde mit ihrer Arbeit und geben ihr Bestes. Ich bin froh, dass ich viele Anregungen für meine Arbeit mitnehmen konnte.
Einen Punkt möchte ich zum Schluss noch unbedingt betonen: Wir dürfen nie vergessen, dass hier Menschen ihre tägliche Arbeit machen, die nichts für klima- oder energiepolitische Entscheidungen können. Die aber dennoch häufig verbal angegriffen oder bei Protesten bedroht und beschimpft werden. Ich habe heute – gleich wie man zur Braunkohle persönlich steht – vor der Arbeit meines Teams und den Kolleginnen und Kollegen im Tagebau einen riesigen Respekt gewonnen. Sie arbeiten bei Wind und Wetter dafür, dass wir ausreichend mit Energie versorgt werden.