10.08.2022

Ein Tag als Kanalarbeiter

Minister Martin Dulig hält einen Schlauch an einen Anschluss an einem Fahrzeug der Leipziger Wasserwerke.
© SMWA

Staatsminister Martin Dulig als Kanalarbeiter bei den Leipziger Wasserwerken.

Es ist heiß. Nein, es ist bei 38 Grad eigentlich unerträglich heiß. Die Sonne brennt auf den Asphalt mitten in Leipzig, als wir aus einem Abwasserkanal der Stadt hinauf ins Freie klettern. Unter den luftdicht verschlossenen Vollschutzanzügen rinnt uns der Schweiß in Strömen durch die orangefarbene Arbeitsbekleidung. Schnell alles ablegen und erstmal was trinken! 

Seit 7 Uhr bin ich heute für eine Schicht Praktikant in der L-Gruppe in Leipzig. Arbeite einen Tag als Kanalarbeiter für mein Projekt »Deine Arbeit, meine Arbeit« mit. Zwei Jahre war dies auf Grund der Corona-Pandemie nicht möglich. Doch ich möchte weiterhin wissen, was den Menschen in ihrem Arbeitsleben im Freistaat auf der Seele brennt, wo es Probleme und Sorgen gibt, die ich als Politiker vielleicht mit lösen helfen kann. Wie üblich bin ich daher nicht angemeldet - nur einige wenige Vertraute wussten Bescheid, dass ich heute hier bin. So kann ich wirklich mitarbeiten, ohne roten Teppich und Tamtam.

Minister Martin Dulig lachend im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Leiziger Wasserwerke. © SMWA

Ich begleite heute meine Kollegen der Abwasserentsorgung – quer durch die Stadt. 1.500 Kilometer misst das unterirdische Abwassernetz in Leipzig. 1.500 Kilometer, die ständig gewartet und kontrolliert werden müssen. So kriechen wir durch zu restaurierende Schächte, um zu prüfen, an welchen Stellen etwas ausgebessert werden muss. Über uns ist eine Straßenbaustelle. Mit Norbert steige ich nach unten. Es ist dunkel und kühler als oben. Das einzig Positive! Es stinkt widerlich nach Fäkalien. Bis zum Knie, der Oberkante der Gummistiefel, stehen wir in der modrig-braunen Brühe. Wir waten ein paar Meter durch die übelriechenden Exkremente im Untergrund der Stadt – schauen uns die Mauern nach Bruchstellen an. Immer wieder springen unzählige fette Ratten vor uns in den Kanal. Die vermehren sich hier prächtig, da sie mehr als ausreichend Futter finden. Leider entsorgen viele Einwohner ihre Essensreste über die Toilette. Diese schwämmen dann durch die Kanäle. Hinzu kommt verschärfend: Immer mehr Menschen drücken nur noch die Kurzspültaste. Damit reicht das Wasser nicht mehr aus, um alles wegzuspülen. Die Ratten haben hier unten ein Paradies.

Gegen 11 fahre ich mit Daniel in einem Saugrüsselwagen nach Altranstädt. In einer Pumpstation stechen wir Fett ab. Das Problem: Es ist kein Fettklumpen, sondern eine fette Scholle, die den Ablauf systematisch verstopft. »Viele Menschen kippen Bratenfett oder Frittieröl ins Waschbecken. Sobald das heiße Fett mit Wasser in Kontakt kommt, gerinnt es und wird fest. Dann setzt es sich in den Sammelbecken ab und entwickelt sich zum Problem«, erklärt Daniel. Die kleingehackten Fettreste saugen wir über einen dicken Schlauch in unseren Wagen. Die übelriechenden Reste entsorgen wir später in einem Kanal im Klärwerk im Rosenthal.

Minister Martin Dulig hält einen Saugrüssel. © SMWA

Kurz vor 14 Uhr sitzen wir vor dem Personalgebäude im »Kanalnetzstützpunkt Grünau«. Daniel und ich essen endlich mal was. Wir kommen ins Plaudern. Nachwuchs ist bei den Abwasserwerkern auch zunehmend ein Problem. »Viele Jugendliche glauben noch immer, dass wir den ganzen Tag eklige Fäkalien um uns herum haben«, sagt er augenzwinkernd. »Das gibt es auch, ja. Aber wir haben heute – im Vergleich zu einigen Jahren zuvor – viel digitale Technik. Wir arbeiten mit Sattelitenbildern, haben mobile Kameras in den Kanälen, Reinigungstechnik, sind mit Notebooks unterwegs und rufen direkt Daten auf, die wir früher händisch messen mussten. Die Digitalisierung hilft.« Vorarbeiter Mathias, der mit am Tisch sitzt: »Für viele ältere Kollegen wird die ganze Technik langsam wirklich sehr anspruchsvoll. Was wir machen, ist längst kein dreckiger, stupider Job mehr. Im Gegenteil. Vielleicht sollte es einfach mehr Praktika geben, müsste bei Schülern mehr das Interesse für unsere Arbeit geweckt werden.« Die Bezahlung, bestätigen beide, stimmt. Doch körperlich anstrengend bleibt die Arbeit im Untergrund – allein ein Gully-Deckel wiegt rund 60 Kilogramm. Und von denen wurde heute ein gutes Dutzend geöffnet.

Wie schauen die Kollegen hier auf die Energiekrise? Daniel: »Viele Menschen wissen gar nicht, was wir machen. Dabei ist die Arbeit im Kanalnetz enorm wichtig. Wenn bei uns der Strom weg wäre, dann würden die Menschen nach knapp fünf Stunden in der Sch… stehen. Denn ohne die Pumpen würde das Abwasser spätestens dann durch die Gully-Deckel drücken.«

Es war eine harte Schicht, an diesem glühend heißen Julitag. Aber die Arbeit ist nicht weniger schweißtreibend, wenn es in Strömen regnet oder im Winter bitter kalt ist. Ich bin froh, dass ich hier mal »reinschnuppern« durfte. Und kann nur sagen: Mein Respekt gilt den Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Branche arbeiten. Und im wahrsten Sinne des Wortes für uns viele nötig Dinge im Untergrund ganz unauffällig klären.

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